Vom „Wächter am Tor“ zum „einsamen Wolf“ Der Multifunktionär Hans-Michael Fiedler und die Transformation der radikalen Rechten in Südniedersachsen

Autor*innen
Organisation/Institut
Fachgebiet
Publikationsformat(e)
Projektstand

Projektbeginn
Projektende

Forschungseinrichtung(en)
Zentraler Phänomenbezug
Phänomenbereich

Trittel, Katharina; Isele, Sören; Finkbeiner, Florian
Institut für Demokratieforschung, Georg-August-Universität Göttingen
Rechtsextremismusforschung
Open Access Online und Print
Abgeschlossen
1. Januar 2022
2. Februar 2023

Universitär
Übergreifend: Radikalisierung – Extremismus und/oder Terrorismus

 

Zentrale Fragestellung:

1. Wer ist der rechtsradikale Multifunktionär Hans-Michael Fiedler? 2. Wie hat Fiedler in Südniedersachsen von den 1960er Jahren bis Anfang der 1990er Jahre (als er seinen aktivistischen Schwerpunkt nach Ostdeutschland verlagerte) politisch gewirkt? In welchen Organisationen und Gruppen war er aktiv und welche Netzwerke hat er gepflegt? 3. Und vor allem: Wie hat Fiedler in diesen Netzwerken agiert und mit welchen Handlungsstrategien hat er politisch Einfluss auf die organisatorischen Strukturen genommen? Welche Rolle hat Fiedler also letztlich bei der Entwicklung der radikalen Rechten in Südniedersachsen gespielt? Die vorliegende Studie analysiert am Beispiel des rechtsradikalen Akteurs Hans-Michael Fiedler die Entwicklung der radikalen Rechten in Südniedersachsen von den 1960er Jahren bis Anfang der 1990er Jahre. Neben der Beleuchtung seiner politisch-aktivistischen Biografie werden Fiedlers Netzwerke und politische Organisationen untersucht, um Handlungsstrategien und Erfolgsfaktoren herauszustellen, wie Strukturen der radikalen Rechten agieren. Die Analyse stützt sich dabei auf die sogenannten Transformationsphasen des deutschen Rechtsradikalismus, welche hier als Scharnier dazu dienen, Tendenzen im politischen Werdegang Fiedlers im Abgleich mit übergeordneten Entwicklungslinien ermessen, einordnen und bewerten zu können.

Stichprobenbildung – Datenzugang:
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Gesamtstichprobengröße
Inhaltlicher / Thematischer / Empirischer Zentralfokus
Methodik

Erhebungsverfahren
Auswertungsverfahren

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Zentrale Forschungsbefunde:

Seit 2019 verwaltet die Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen (FoDEx) den Nachlass des rechtsradikalen Multifunktionärs Hans-Michael Fiedler. Die Bearbeitung und Auswertung der Hinterlassenschaft ermöglicht es, bislang unerschlossene Quellen für Forschung und die (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Erschließung des Materials eröffnet neue Perspektiven auf einen zentralen Akteur der radikalen Rechten in Deutschland sowie dessen Netzwerke, um langfristig die politischen Strukturen des Rechtsradikalismus besser verstehen zu können. Die vorliegende Studie präsentiert erste Ergebnisse, indem sie aus Perspektive der akteurszentrierten Rechtsextremismusforschung das Augenmerk zunächst auf Fiedlers polit-biografische Entwicklung legt. Am Beispiel dieses rechtsradikalen Akteurs analysiert sie die Genese der radikalen Rechten in Südniedersachsen von den 1960er Jahren bis Anfang der 1990er Jahre. Sie untersucht seine Netzwerke und politischen Organisationen, um herauszufinden, wie Strukturen der radikalen Rechten agieren, um Handlungsstrategien und Erfolgsfaktoren herausstellen zu können. Die Analyse stützt sich auf die sogenannten Transformationsphasen des deutschen Rechtsradikalismus, welche als Scharnier dazu dienen, Tendenzen im politischen Werdegang Fiedlers im Abgleich mit übergeordneten Entwicklungslinien ermessen, einordnen und bewerten zu können. Die Studie fragt danach: • Wer ist der rechtsradikale Multifunktionär Hans-Michael Fiedler? • Wie hat Fiedler in Südniedersachsen von den 1960er Jahren bis Anfang der 1990er Jahre politisch gewirkt? In welchen Organisationen und Gruppen war er aktiv und welche Netzwerke hat er gepflegt? • Und vor allem: Wie hat Fiedler in diesen Netzwerken agiert und mit welchen Handlungsstrategien hat er politisch Einfluss auf die organisatorischen Strukturen genommen? Welche Rolle hat Fiedler also letztlich bei der Entwicklung der radikalen Rechten in Südniedersachsen gespielt? Die Studie kommt u. a. zu folgenden Ergebnissen: 1. Es lassen sich vier Handlungsmechanismen in Fiedlers politischem Aktivismus identifizieren, die in enger Beziehung zu Erfolgsfaktoren rechtsradikaler Agitation und Netzwerkbildung stehen. Erstens: ein funktionalistisches Verständnis hinsichtlich der strategischen Nutzung politischer Gruppen (innerhalb eines multiplen Netzwerkes wird je nach Bedarf auf die Gruppierung zurückgegriffen, die zum jeweiligen Zeitpunkt am erfolgversprechendsten erscheint); zweitens: eine gezielte Kaperung und Unterwanderung bestehender politischer Gruppen, die zu ihrer Radikalisierung führt; drittens: Fiedlers (v. a. publizistisches) Agieren im metapolitischen Sinne für eine „Kulturrevolution von rechts“, d. h. sein Ziel, jugendliche Kader zu aktivieren, zu intellektualisieren und antiparlamentarische Agitation zu forcieren; viertens bedient sich Fiedler der charakteristischen sogenannten Mimikry, die besagt, dass herausgehobene Akteure öffentlich taktisch-zurückhaltender agieren, um eine Anschlussfähigkeit insbesondere an das konservative Spektrum erreichen zu können. 2. Es konnten Gelegenheitsfenster identifiziert werden, anhand derer, im Abgleich mit den Transformationsphasen des Rechtsradikalismus, die Aussagekraft der identifizierten Handlungsstrategien über den Einzelfall hinaus erweitert werden kann. Dazu zählt insbesondere die Phase der Neuformierung bis 1969 als eine Phase der Sammlung und eines durch die NPD initiierten und getragenen Integrationsprozesses, dessen Scheitern eine antiparlamentarische Stoßrichtung forciert und eine „Neue Rechte“ hervorbringt, innerhalb derer Fiedler vor allem publizistisch wirkt. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel weg vom parteipolitischen hin zum metapolitischen Aktivismus. Nachdem sich die radikale Rechte in den 1980er Jahren immer stärker marginalisiert und ins Subkulturelle ausdifferenziert, bleibt für Fiedler an seinem Lebensende (nach Schließung der Gelegenheitsfenster) lediglich die Pose des tragischen Heroismus. 3. Fiedlers Vita lässt sich als mehrstufige bzw. „multidimensionale Radikalisierung“ deuten: Eine potenzielle Anfälligkeit führt in mehreren Stufen (theoretisch, aktivistisch, gewaltvoll) zu einer immer weiter zunehmenden Radikalisierung. Von der Radikalisierung an der Hochschule über eine bundesweite Vernetzung innerhalb der radikalen Rechten durch das Projekt der „nationalen Bildungsarbeit“ und dem Versuch, publizistisch eine erhöhte Reichweite zu erzielen, bis hin zum Schulterschluss mit rechtsradikalen Gewalttätern. 4. Zuletzt haben wir am Beispiel von Fiedler Erfolgsfaktoren für die Konstituierung und Festigung einer Szene eruiert: Als Grundvoraussetzung ist erstens ein etabliertes Netz alteingesessener Protagonisten erforderlich, die als Scharnier zu bürgerlich-konservativen Kreisen wirken. Zweitens muss sich ein zentraler Multiplayer dieses Netzwerk aneignen; er muss der politischen Sache alles unterordnen und über ein erhebliches organisatorisches Geschick und Charisma verfügen, um ansprechbare Jugendliche zu mobilisieren. Gleichwohl ist es ahistorisch, generalisierbare Erfolgsfaktoren unabhängig vom zeitlichen Kontext und vom lokalen Milieu, in dem die Szene entsteht, also unabhängig von sich im Zeitverlauf verändernden und in ihrer lokalen Ausprägung divergierenden Kontextfaktoren zu identifizieren. 5. Die Ergebnisse unterstreichen den weiteren Forschungsbedarf innerhalb der akteurszentrierten und vergleichenden Rechtsextremismusforschung. Die bisherige Auswertung des Nachlasses hat eine Fülle an neuen Erkenntnissen zu organisierten Strukturen, Gruppen, Parteien und Netzwerken offenbart, die jedoch noch weiter ausgebaut werden müssen, da insbesondere die zutage geförderten persönlichen Beziehungen zwischen zentralen Akteuren der radikalen Rechten sowie deren Bedeutung für die Netzwerkbildung noch untertheoretisiert sind.

Implikationen oder praktische Verwendbarkeiten:

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Hinweise / Anregungen zu möglicher Anschlussforschung:

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Zitation des Projekts
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Quellenangabe projektbezogener Publikation

  • https://univerlag.uni-goettingen.de/handle/3/isbn-978-3-86395-525-0